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SEBASTIAN STEUDE
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Arctic Circle Trail

Kalte Luft schlägt uns entgegen, als wir in Kangerlussuaq aus dem Flieger steigen. Bereits die 38-stündige Anreise war spannend: Mit dem Bus zum Traunsteiner Bahnhof, dann mit der Regionalbahn in das unter einer sengenden Hitzewelle leidende München, anschließend in den Fernbus und über Berlin nach Rostock, dort auf die Fähre nach Gedser und wieder im Bus zum Kopenhagener Hauptbahnhof. Nach einem Stadtbummel mit Abstecher in die liebenswert bis verrucht alternative Freistadt Christiana in die Metro zum Flughafen und von dort letztendlich mit Air Greenland zum internationalen Flughafen von Kangerlussuaq. Nur eine Fahrt mit der Straßenbahn hat eigentlich noch gefehlt.

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Nun stehen wir also kurz vor Mitternacht auf der Hauptstraße des kleinen Ortes knapp einhundert Kilometer nördlich des Polarkreises, der sich rund um den alles bestimmenden und Arbeit gebenden Flughafen gebildet hat und suchen nach der langen, anstrengenden Reise das erstbeste Fleckchen, an dem wir unser Zelt aufstellen können. Am nächsten Morgen brechen wir bei bestem Wetter in Richtung Inlandeis auf, doch bereits nach wenigen Schritten setzen uns die Rucksäcke, voll gefüllt mit Lebensmitteln für drei Wochen, gehörig zu. Die Tragriemen schneiden sich in unsere Schultern, ein aufrechter Gang ist kaum möglich. Dazu die Sonne, die inzwischen heiß vom wolkenlosen Himmel sticht und dafür sorgt, dass wir selbst in unseren kurzen Wandersachen das Schwitzen anfangen. Wie oft haben wir uns anhören müssen, dass es in Grönland doch bestimmt immer wahnsinnig kalt ist - nur die nordische Sonne scheint davon nichts zu wissen. Je näher wir aber dem Gletscher kommen, desto mehr spüren wir die Kühle des auffrischenden Windes und auch die umliegende Landschaft wird beständig karger. Große, sandige Ebenen, durch die reißende, milchig trübe Flüsse mäandern, dominieren das Bild, bis es schließlich nur noch das nackte Geröll gibt, hinter dem sich die gewaltigen Gletscherwände aufbauen. Aber erst als wir am nächsten Tag die umliegenden Hügel erkunden, lassen sich die riesigen Dimensionen erahnen. Bis zum Horizont zieht sich die gewaltige weiß-graue Fläche des Inlandeises und dennoch können wir nur einen mikroskopisch kleinen Teil der gesamten Eismassen überblicken.

An einem großen See finden wir einen idyllische Zeltplatz. Die Sonne geht gerade im Westen unter und taucht die umliegenden Hügel in warmes Licht. Wir sitzen entspannt vor dem Zelt, genießen die großartige Natur um uns herum und alles könnte perfekt sein, wenn nicht der Kocher ein lautes, unheilverkündendes Zischen von sich geben würde, als Rebecca ihn auf die Gaskartusche schraubt. „Scheiße! Der Dichtungsring ist weg!“, entfährt es ihr. Anschließend versucht sie mit zunehmender Verzweiflung, den Gummiring durch eine provisorische Dichtung aus unserem Geschirrtuch zu ersetzen. Überraschenderweise macht die Konstruktion anfangs auch einen ganz guten Eindruck, als wir jedoch den Praxistest machen, steht plötzlich der ganze Kocher inklusive Gaskartusche in Flammen und ich weiß mir irgendwann nur noch noch damit zu helfen, indem ich das lichterloh brennende Teil mit einem festen Tritt in den See befördere, wo es kopfüber im seichten Wasser liegend vor sich hin blubbert. Von Experimenten habe ich danach die Nase voll. Ohne groß weiter nachzudenken, schnappe ich mir meine Jacke und mache mich auf den Weg zurück zu unserem letzten Zeltplatz.

Fünf Stunden später, um kurz vor Mitternacht, bin ich ziemlich erledigt wieder zurück. Den winzigen Dichtungsring habe ich natürlich nicht gefunden, dafür habe ich aber unterwegs alles aufgesammelt, was auch nur im entferntesten brauchbar oder nach Gummi aussah. Und was soll ich sagen: Nach langem knobeln, schafft es Rebecca alias MacGyver doch tatsächlich aus einem Gummirahmen einen neuen, funktionstüchtigen Dichtungsring zu bauen.

Drei Tage später stehen wir wieder auf der staubigen Hauptstraße von Kangerlussuaq. In der nahen Cafeteria des Flughafens gönnen wir uns noch eine heiße Schokolade, dann schultern wir unsere immer noch ziemlich schweren Rucksäcke und machen uns auf den Weg ins 170 Kilometer entfernte Sisimiut. Die ersten zwanzig Kilometer führen noch über eine breite Schotterstraße zur kleinen Forschungsstation Kellyville, dann geht der Weg in einen schmalen Pfad über und wir tauchen endgültig in die große, arktische Wildnis ein. Zwei Wochen sind wir nun ganz auf uns gestellt – es gibt kein Handynetz und auch die Infrastruktur ist auf eine Handvoll kleiner Hütten für Selbstversorger beschränkt. Ansonsten herrscht Natur pur! Das Wetter zeigt sich von seiner besten Seite. Der klare Himmel, der uns tagsüber die wohlig warme Sonne im T-Shirt genießen lässt, lässt uns nachts allerdings bei deutlichen Minusgraden in unseren Schlafsäcken bibbern und morgens bedeckt eine dicke Schicht Raureif die umliegende Landschaft.

Vor einigen Jahren hatten die Touristiker im Rathaus von Sisimiut die glorreiche Idee, ein Kanucenter am völlig abgelegenen Amitsorsuaq-See zu eröffnen. Der nachhaltige Erfolg wollte sich seltsamerweise nicht einstellen, doch die Kanus samt Ausrüstung gibt es immer noch und mit etwas Glück erwischt man sogar eines davon am richtigen Ufer. Wir haben Glück! Was von weitem noch wie ein Stein aussieht, entpuppt sich beim Näherkommen als nicht gerade hochseetaugliches aber dennoch funktionstüchtiges Kanu. Rebecca beäugt unsere Nussschale zwar anfangs skeptisch und auch mit ihrem Paddel, das aus einem mit Klebeband an einem abgebrochenen Besenstiel befestigtem Paddelblatt besteht, ist sie nicht völlig glücklich, doch auch sie weiß die Vorteile des Kanus zu schätzen. Wie schön ist es doch, die Rucksäcke mal nicht tragen zu müssen!

Nicht die kleinste Wolke stört den strahlend blauen Himmel, als wir schließlich in See stechen und mühelos gleiten wir über das spiegelglatte Wasser gen Westen. Anfangs kaum merklich beginnt sich das Wetter aber zu ändern und erste Wolken bilden sich in unserem Rücken. Rasch wird die Bewölkung dichter, eine leichte Brise zieht auf und ehe wir uns versehen, lassen große Wellen das Kanu gehörig hin und her schaukeln. Nun wird uns auch bewusst, wie weit wir inzwischen vom Ufer weg sind. Mit aller Kraft stemmen wir uns gegen die Wellen, die uns immer weiter zur Seemitte treiben. Der Himmel ist inzwischen rabenschwarz und es beginnt zu regnen, als wir endlich zu einer geschützten Bucht gelangen, in der wir anlegen und das Zelt aufbauen können. Überraschenderweise zeigt sich das Wetter am folgenden Morgen wieder von seiner schönsten Seite und wir schaffen es bis zum frühen Nachmittag das Kanucenter auf der anderen Seite des Sees zu erreichen. Vier Kanus liegen bereits am Ufer. Als Rebecca deren Zustand sieht und vor allem auch die jeweiligen Paddel, verfliegt ihr Unmut über unsere Ausrüstung schnell und sie spricht von nun an nur noch in den höchsten Tönen davon. Schwer lasten die Rucksäcke nun wieder auf unseren Rücken, während wir am südwestlichen Seeufer entlangwandern. Bald wandelt sich die grüne Tundra in eine graue Wüste. Das gesamte umliegende Gebiet ist verbrannt und der beißende Geruch nach Rauch und Feuer liegt immer noch über der Ödnis, durch die ein einsames Rentier trabt.

Ein ganz besonderes Naturschauspiel dürfen wir auf einer Terrasse hoch über dem See Tasersuaq erleben. Als ich aufwache ist es 1 Uhr nachts und bitterkalt. Ich krieche zur Zeltöffnung, schaue nach draußen und bin sofort hellwach. Die Nacht ist sternenklar und über uns flackert grünliches Polarlicht, so intensiv wie ich es bisher noch nie gesehen habe. Eine ganze Stunde verbringen wir vor dem Zelt, harren der Kälte, machen Fotos und bewundern den farbenprächtigen Nachthimmel. Einen Tag später erreichen wir das größte Hindernis des gesamten Treks: Den Fluss Itinneq. Inmitten einer sumpfigen, salzverkrusteten Ebene gelegen, verbindet der Fluss den großen Tasersuaq-See mit der nahen Baffin Bay. Da das Furten vor allem nach der Schneeschmelze und nach starken Regenfällen sehr gefährlich bis unmöglich sein kann, wurde vor ein paar Jahren eine Brücke gebaut. Neben den kleinen Hütten ist dies die einzige Infrastruktur auf dem gesamten Weg.

Je weiter wir nach Westen und damit in Richtung offenes Meer kommen, desto atlantischer zeigt sich auch das Klima. Immer zahlreicher werden die Sümpfe, durch deren Mitte der Pfad erbarmungslos verläuft, bis unsere Schuhe irgendwann überhaupt nicht mehr abtrocknen können, an den umliegenden Hügeln und Bergen zeugen große Schneeflächen von den niederschlagsreichen Wintern und auch die ersten Mücken beginnen uns zu piesacken. In dem langgezogenen und feuchten Tal von Nerumaq ist es besonders schlimm und wir sind froh um unsere Mückennetze, die wir bei uns haben.

Anderthalb Tagesmärsche vor Sisimiut schlagen wir unsere Zelte oberhalb des Kangerluarsuk Tulleq-Fjords auf. Herrschte am Abend noch schönstes Wetter wabert am folgenden Morgen dicker Nebel um unser Zelt und wir können kaum fünfzig Meter weit sehen. Nach einer eiskalten Furt folgen wir einem von violett blühenden Weideröschen eingerahmten Bergbach bis wir schließlich die dichte Nebeldecke durchbrechen. Wir befinden uns auf einem großen, grasigen Hochplateau, doch schon bald weicht das letzte Grün dem blanken Schutt und gen Norden zeigen sich die ersten Gletscher des bis zu 1.448 Meter hohen Aqqutikitsoq-Massivs. An einem glasklaren, türkisfarbenen See wenden wir uns nach Westen und klettern über eine mit grobem Geröll bedeckte Rampe auf einen breiten Kamm. Über kurze, abwechslungsreich zu kletternde Wandstufen und ein großes Schneefeld erreichen wir den flachen Gipfel des namenlosen Punkt 1.046. Rund um uns ragen hohe, teilweise vergletscherte Gipfel aus dem weißen Nebelmeer. Keine Pfadspuren, noch nicht einmal Steinmänner gibt es hier und es kommt einem fast so vor, als wäre man der erste Mensch, der auf diesem Gipfel steht.

Am folgenden Tag nehmen wir die finalen zwanzig Kilometer Richtung Sisimiut in Angriff. Ein letztes kahles, seenreiches Hochland gilt es zu queren, dann erhebt sich linker Hand die markante Gestalt des Nasaasaaq, des Hausberges von Sisimiut und wir können tief unter uns zum ersten Mal die bunten Häuser der Stadt erspähen. An einem großen See ein paar Kilometer vor der Stadt schlagen wir unser Zelt auf. Da unser Rückflug erst in vier Tagen geht, wollten wir eigentlich die Zeit nutzen, um uns die Stadt und die Umgebung in Ruhe anschauen zu können, doch leider haben wir dabei nicht an das Wetter gedacht, das sich nun von seiner schlechtesten Seite zeigt. Die Sonne wird von dicken, regenschweren Wolken verdeckt, die Temperatur sinkt bis in die untersten einstelligen Bereiche und die Schneefallgrenze nähert sich bedenklich unserem Zeltplatz. Irgendwann geht der tagelange Dauerregen sogar in der Stadt in Schneeregen über und wir pendeln eigentlich nur noch zwischen den halbwegs gemütlichen oder zumindest trockenen Plätzen in einem kleinen Café und in der Cafeteria des Seemannsheims, in dem es Fastfood zu Preisen gibt, bei denen man in Deutschland Schnappatmung bekommen würde.

Wie sollte es anders sein, laufen wir auch am letzten Morgen im strömenden Regen in Richtung des winzigen Flughafens. Das aktuelle Wetter führt uns deutlich vor Augen, dass der nordische Sommer zu Ende ist. Es waren vier wunderschöne Wochen in Grönland, aber nun wird es Zeit nach Deutschland zurückzukehren.


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